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AutorenbildBarbara Becker

Oma´s Erbe

Aktualisiert: 8. Dez. 2023


Auf dem Bild ist ein strahlend blauer Himmel zu sehen, der von vereinzelten weißen Wolken durchzogen ist. Die Wolken schweben sanft und leicht über dem Himmel und zeichnen malerische Formen. Unten im Bild, nahe dem unteren Bildrand, steht eine ältere Dame. Die Sonne, die sich irgendwo außerhalb des Bildes befinden muss, strahlt warmes, goldenes Licht auf die Wolken herab und verleiht ihnen eine zarte Leuchtkraft. Das Bild strahlt eine friedliche und ruhige Atmosphäre aus, während die Oma die Schönheit des Himmels und der Wolken genießt.

Vor kurzem fragte mich eine Freundin: „Wenn du in eine Zeitmaschine steigen könntest, wohin würdest du reisen wollen?“ Die Antwort war klar, ich musste nicht lange überlegen: „Mittwochabend, Oktober 2005, Herbstferien.“ Sie lachte und fragte mich, warum dieser Abend? Und ich erzählte ihr, was an jenem Mittwoch passiert ist.


Das Telefon in meinem Elternhaus klingelt. „Hör mal, komm mal schnell rüber. Ich war gerade beim R-Kauf und habe Hering gekauft und ich hab´uns frische Lohners Brötchen mitgebracht. Die sind noch warm.“ Sie hat den Hörer noch nicht aufgelegt, da stand ich schon in ihrer Küche. Das lasse ich mir gewiss nicht zwei Mal sagen.


Ich spürte die angenehme Wärme der Küche. Draußen war es dunkel, das konnte ich durch das große Fenster sehen, welches gleich neben dem Kühlschrank, über dem Spülbecken war. Der Rest ihrer Küchenzeile war mit Eiche im rustikalen Stil frontiert. Direkt neben der Tür, die zum Esszimmer führte, stand ein Tisch, mit drei Stühlen und einer Bank, ebenfalls im dem Eiche-Stil. Diese Bank war mit Abstand die gemütlichste, auf der ich je saß. Deswegen war es Opas fester Sitzplatz. Oma deckte den Tisch.

„Weißt du“, sagte ich zu meiner Freundin, „Oma hatte auf dem Tisch immer eine dicke Anti-Rutsch-Unterlage und darüber eine Wachstischdecke.“ Ich weiß nicht warum, aber irgendwie machte das die ganze Küche noch gemütlicher. Man wollte sich einfach an diesen Tisch setzen.

Ich helfe Oma beim decken, während Opa auf seiner Bank saß und schon bereit fürs Abendessen war. Wir unterhalten uns über alles mögliche. Schule, was ansteht, was passiert ist. Dabei essen wir warme, frische Lohners Brötchen, viel Butter und mit Sahnehering. Dazu trinke ich haltbare Milch mit einem Fettgehalt von 3,5%.

19:03 Uhr, Opa: „Oh, oh, die Nachrichten!“ Er steht auf und verschwindet im Esszimmer auf seinen Fernsehsessel. Oma und ich unterhalten uns weiter, bis sie mich verschmitzt anlacht und sagt: „Guck mal in der Schublade!“

Ich wusste, was das zu bedeuten hat: der Vorrat ist aufgefüllt. Ich sprinte zur Schublade im Esszimmerschrank und blicke auf sieben Tafeln Schokolade, in dem Softcake Karton ist noch eine von zwei Rollen übrig. „Bring ruhig beides mit!“, ruft Oma aus der Küche. Wir essen Schokolade und ich tunke die Kekse in mein Glas Milch. Ich schaue auf die Uhr neben der Tür. Sie ist in einen rustikalen Holzrahmen eingefasst. Die Pfeile des schwarzen Ziffernblatts zeigen mir halb 9 an: „Oma ich muss gehen!“ „Oh hast du noch was vor?“, fragt sie mich. „Ja“, ich grinste, „ich gehe noch ins Point!“ (R.I.P. Point, Lang lebe Dorfdiskotheken!)

Als ich diese Geschichte meiner Freundin erzählte, lachte sie und fragte mich, ob ich wirklich dahin zurück reisen wollen würde, es wäre ja schließlich ein normaler Abend. Ich lachte sie aus, sie hatte ja keine Ahnung.

Es mag vielleicht einfach nur eine Küche sein, dabei war es doch viel mehr. Es war ein Ort, an dem sie mir Pudding kochte, wenn ich krank war. Es war eine Mensa, mit dem besten Mittagessen, was man sich nur wünschen konnte. Ein Restaurant, ein Mittagschlafzimmer, eine Bäckerei, die zu einer Weihnachtsbäckerei umgebaut wurde, eine „Ich mache den besten Johannisbeersaft für Vanilleeis“ Küche, ein Klassenzimmer. Es war eine Ort, an dem wir geweint und gelacht haben. In dem wir uns stritten und wieder versöhnten. Es war ein Ort der Liebe und Geborgenheit. Es war ein Paradies.


Es wurde Zeit für Oma, den Ort zu wechseln, um sich eine neue Küche einzurichten. Ich glaube, Opa kann es kaum erwarten, an ihrem Küchentisch Platz zu nehmen. Viele Verwandte und Freunde werden sie in der neuen Küche besuchen. Ja, und eines Tages werde auch ich wieder an ihrem Küchentisch Platz nehmen und dann können wir wieder zusammen lachen und uns in den Arm nehmen und so viel Kuchen, Plätzchenteig und Hering essen, wie wir nur wollen und ohne dass uns schlecht wird.


Oma´s Erbe, eine Schatzkiste voller Erinnerungen.



Stell du dir doch einmal vor, du könntest in eine Zeitmaschine steigen, wohin würdest du reisen wollen?



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